Wie mein Sohn (7) als Freilerner das Verständnis für Zahlen (Rechnen) entwickelt

Zahlen in Form von Geld (Taschengeld…), Jahreszahlen (Geburtsjahre der Geschwister/Alter…), Uhrzeit (Stunden, Minuten, Sekunden), Gewichten (Trinkwasserflaschen 2, 5, 6-Ltr.), Mengen, Entfernungen (Meter, Kilometer, Zentimeter…), Geschwindigkeiten (Er sitzt meist im Auto vorn…) sind schon lange sein Thema.

„Mama, wie alt warst Du, als Emmi geboren wurde? Wie alt warst Du als ich geboren wurde?“

Was genau in seinem Kopf abgeht können wir nicht sagen. Es rattert in seinem Kopf  von 23 bis 39…

Noah ging kürzlich mit mir auf den Berg. Er will unbedingt die Crossfahrer sehen. Ich komme mit und sag ihm, dass ich ohne Mandeln oder Oliven nicht zurückkomme… (Viele verwilderte Bäume stehen am Weg…)

Wir nehmen den Rucksack mit. Er denkt noch an die Wasserflasche und an etwas zu Essen, packt sich ein paar Mandarinen ein und wir ziehen los.

Und tatsächlich, die Crossfahrer kommen. Wir beobachten sie, wie sie den Abhang “hinunterklettern”. Nach 10 Minuten ist alles vorbei.

Jetzt kommt meine Zeit. Am Wegesrand steht der erste Mandelbaum und ich fange an, Mandeln zu pflücken.

Er hatte mir anfangs versprochen, zu helfen. Nun stand ich allein am Baum und er hatte eigentlich keine Lust dazu. Ich erinnerte ihn an sein Versprechen.

Er: “Wenn du 100 gepflückt hast dann helfe ich mit.” Ich forderte seine Versprechungen ein. Daraufhin meinte er, dass er ab 80 mithelfen würde.

Ich zähle laut weiter.

Als ich dann schon bei über 100 war  fing er an, mir mitzuhelfen. Er kletterte auf den Baum und pflückte oben und ich zählte weiter.

Als wir dann bei 200 waren war er hochmotiviert, weitere Mandeln zu pflücken.

Nach 250 hörten wir mit dem Zählen auf. Es kamen noch einige Mandeln dazu und wir suchten uns einen neuen  Mandelbaum.

Er klettert wieder hinauf pflückte und warf sie mir vor die Füße.

Ich zählte nicht mehr, las nur noch auf. Ich sagte ihm, dass  mir um die 500 Mandeln reichen würden und erzählte ihm, dass ich im letzten Jahr  2000 bis 3000 Mandeln am Stück sammelte. Er staunte.

Die zweite Tüte füllte sich. Da ich zu einer bestimmten Zeit wieder zu Hause sein wollte, hörten wir auf.

Wir verglichen dann beide Tüten. Die eine Tüte vom ersten Baum, und die andere Tüte von dem zweiten. Er hielt jeweils eine Tüte in der Hand und schätzte ab, welcher schwerer wog und stellte fest, dass die Tüte vom zweiten Baum voller war.

Zu Hause angekommen sollte ich die Tüten noch nicht in die Kiste schütten. Er wollte sie zählen.

Ihm war sehr wichtig, dass ich keine Mandeln vorher herausnehme und …er zählte. Nannte mir zwischendurch immer wieder das Zwischenergebnis von der einen Tüte, dann von der anderen und kam dann allein auf insgesamt 688 Mandeln. Wir staunten gemeinsam, wieviele Mandeln wir zusammenbekommen hatten.

Ein anderes Beispiel, wie sich Rechnen/Zahlen in echten Lebenszusammenhängen zeigt:

Nachdem Noah mit Hilfe seiner großen Schwestern einen Brief an seinen Freund verfasste sollte dieser, mit einem zweiten Brief, zur Post gebracht werden.

Von 8:00 – 10:00 hat hat hier die Post geöffnet. Es war 8:30. Noah drängte zum Aufbruch. Unsere Große schlief noch im Auto. Immer wieder stellte er die Frage, wie spät es sei. Wir schauen zusammen auf die Uhr.

Dann überlegte ich laut, wie viel zwei Briefe kosten werden: ”Ein Brief kostet 1,15 E. Wieviel Geld muss ich mitnehmen? (Meine Überlegung: Sag ich ihm das Ergebnis? In diesem Fall ja. Ich hab ja das Ergebnis schon. Wäre also keine echte Frage von mir!).

Ich antworte: “2,30 E”. Er darauf: “Es müsste 3,00 E. kosten!” Um ihm noch mal Zeit zum Überlegen zu geben nenne ich die zwei Beträge: “1,15 und 1,15”.

Er meinte, er wäre von 1,50 ausgegangen. War es ein Hörproblem? Nun ratterte es in seinem Kopf, dann kam die Einsicht: “Ach ja, 2,30E!”

Ich suchte dann den Betrag im Portmonee. Er schaute genau auf meine Finger, welche Münzen ich herausnehme. Er will sie genau sehen. Dann bringen wir Briefe und Geld zum Auto.

Inzwischen war die Zeit fortgeschritten, es wurde immer später. Irgendwann war die Zeit vorbei, unsere Große schlief noch im Auto.

Noah fragte: “Warum macht die Post schon 10:00 Uhr zu?” Warum hat sie nicht den ganzen Tag offen?

Wir, Sara (11) war dazu gekommen, machten dazu Überlegungen: Verdienst des Postangestellten, Stundenlohn….Würde es sich lohnen, wenn der Postbote den ganzen Tag wegen vielleicht 3 Kunden hinterm Schalter sitzen müsste? ….besprachen das Verhältnis zwischen Einnahmen und Ausgaben….

Da die Zeit nun vorbei war, den Brief weg bringen zu können. Welche Möglichkeiten gab es noch? Der Postkasten! Aber woher die Marken nehmen?

Ah, da gibts noch den Tabakladen. Noah: “Aber da muss man mehr bezahlen!”

Ich antworte: “Nein, es ist der gleiche Preis.” Das beruhigte ihn.

Hintergrund-Info´s:

In der Fachliteratur spricht man von “informellem” (nicht formales) Lernen (lesenswert!) , Lernen in echten alltäglichen Lebenszusammenhängen. Die Familie spielt hierbei eine entscheidende Rolle – Kommunikation, generationsübergreifend, emotional…

Dem gegenüber steht das “formale” Lernen, wie es z.B. in Schulen stattfindet. In diesem Fall werden die Inhalte in kleinen Häppchen vom einfachen zum komplizierten gelehrt.  

Formales Lernen ist ein zielgerichtetes, dass vor allem noch im letzten Jahrhundert der Wirtschaft diente.

Informelles, lebenslanges Lernen, wird zunehmend auch von der Wirtschaft gefordert, da die zunehmende Flexibilität in allen Lebens- und Wirtschaftsbereichen dies erfordert. Warum kommt es an (staatlichen) Schulen nicht zur Anwendung?

Informelles Lernen steht immer im Zusammenhang mit Emotionen, spielt sich im Bewusstsein wie im Unterbewusstsein ab. Gestern fuhr ich Noah zu seiner Freundin. Er freute sich auf die Zeit dort. Plötzlich stellt er während der Fahrt meiner großen Tochter (15) die Frage: “Wieviel ist 9×7?“ Sie antwortete “63”. (Z.Zt. hat sie Spaß daran, ihm das 1×1 bei zu bringen.)

Ich fragte ihn danach, wie er so plötzlich auf diese Aufgabe komme. Er meinte: “Weiß nicht. Einfach so.”   

Freue mich über eure Rückmeldungen!

Euer Christian mit der FreilernFamily